Entscheidungen treffen fällt vielen Menschen schwer. Vor allem irreversible Entscheidungen und solche mit weitreichenden Folgen, werden eher gemieden und gerne hinausgezögert. Sowohl im beruflichen als auch privaten Umfeld ergeben sich durch diese Verzögerungstaktik aber viel Nachteile.
Dietmar Hopp, ehemaliger Vorstandsvorsitzender des Softwarehauses SAP hat einmal gesagt „Sechs gute und vier falsche Entscheidungen zu treffen wäre besser, als zu lange zu warten“. 1
Indirekt befürwortete er damit Fehlertoleranz und den Mut zur schnellen Entscheidungsfindung zugunsten der Innovationskraft. In diesem Artikel möchte ich Tipps und Methoden vorstellen, die bei der Entscheidungsfindung helfen und die Wahl erleichtern.
.
Warum es uns schwer fällt Entscheidungen zu treffen
Wer kennt das nicht. Wir sitzen in einem Restaurant mit einer umfassenden Speisekarte vor uns und haben die Wahl zwischen einer Vielzahl unterschiedlicher Gerichte. Nach einer Weile entscheiden wir uns, sehr wahrscheinlich für ein uns bekanntes Gericht. Nicht selten fühlen wir uns nach der Auswahl trotzdem nicht völlig erlöst und bedauern ein wenig, nicht doch ein anderes Gericht bestellt zu haben. Am besten fühlen wir uns, wenn es überhaupt keine Alternative gibt und uns die Wahl quasi abgenommen wird. Evolutionswissenschaftler begründen das unter anderem mit dem jahrhundertelangen Mangel an Alternativen. Gegessen wurde, was auf den Tisch kam.
.
Wie Menschen Entscheidungen treffen
Wie Menschen Entscheidungen treffen ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen und Studien. Einige Theorien lassen erahnen, dass es mit dem freien Willen des Menschen nicht weit her ist. Schliesslich wählen wir täglich zwischen einer Vielzahl von Auswahlmöglichkeiten, ohne aktiv das Für und Wider abzuwägen. Bleiben wir noch fünf Minuten im Bett oder stehen wir sofort auf? Frühstücken wir auf dem Weg zur Arbeit oder nehmen wir nur schnell noch ein Coffee to go? Lassen wir es langsam angehen und fahren gemächlich zur Arbeit oder geht es auf der Autobahn direkt auf die Überholspur? Oft entscheiden wir schnell und unbewusst. Unterhaltsame und verständliche Informationen zu psychologischen Abläufen bei der Bildung von Gewohnheiten und dem Treffen von Entscheidungen finden sich in den Büchern „schnelles Denken, langsames Denken“ von Daniel Kahnemann und „Die Macht der Gewohnheiten, warum wir tun was wir tun“ von Charles Duhigg.
.
Kahnemann unterscheidet zwischen zwei unterschiedlichen Denkweisen des menschlichen Gehirns, System 1 und System 2. Viele tägliche Entscheidungen werden von System 1, der intuitiven Denkweise übernommen. System 2 hingegen übernimmt das bewusste Denken, welches uns oft so schwer fällt. Duhigg erläutert den Zusammenhang von Belohnungen, Routinen und Bedürfnissen bei der Bildung von Gewohnheiten, die uns eine schnelle Auswahl ermöglichen aber auch unflexibel machen. Marketingpsychologen wissen diese Verhaltensweise zu nutzen. So löst das auffallend grosse McDonalds Schild bei vielen von uns sofort ein Appetitgefühl und die Routine „Fast Food“ aus. Wir orientieren uns in jeder Filiale auch sehr leicht, damit uns nichts ja nichts von der gewohnten Routine abbringt. Umgekehrt finden wir in Supermärkten von Zeit zu Zeit ein völlig verändertes Regalsystem wieder, damit wir uns keine Entscheidungsroutinen zurechtlegen und vermeintlich neue Produkte gar nicht mehr wahrgenommen werden.
.
Oft überlassen wir System 1 die Arbeit und belassen es bei intuitiven Entscheidungen. Für einen Grossteil unserer täglichen Abwägungen ist das auch gut so. Bei wichtigen Entscheidungen sollten wir allerdings System 2 das Ruder überlassen und bewusst entscheiden. Menschen gehen aber auch bei vermeintlich bewussten Entscheidungen gerne den Weg des geringsten Widerstands und lassen sich von System 1 beeinflussen. Unsere Auswahl im Restaurant fällt daher vielleicht eher auf das Schnitzel mit Pommes, weil es möglicherweise auf der Tageskarte als Angebot des Tages beworben wird. Möglicherweise steht es auch nur weit oben auf der Menükarte und ist mit roter Schrift als besondere Spezialität angepriesen.
.
Nachdem wir uns für etwas entschieden haben, vielleicht für das Schnitzel mit Pommes, ein Produktfeature oder ein neues Fahrrad, suchen wir nach dem Kauf intuitiv für Bestätigung und Zuspruch. Treffen wir aber auf Kritik oder treffende Gegenargumente die die Auswahl nur im Mittelmaß oder sogar schlechter gegenüber alternativen Wahlmöglichkeiten darstellt, fühlen wir uns unwohl. Dieser Zustand wird als kognitive Dissonanz bezeichnet. Die erhaltenen Informationen decken sich nicht mit unserer Überzeugung. Als Folge daraus suchen wir eher nach Bestätigung und vermeiden gegenteilige Ansichten.
Möchten wir also Entscheidungen treffen ohne weitgehende Beeinflussung durch intuitive Routinen, benötigen wir ein methodisches Vorgehen.
.
Entscheidungen treffen – Tipps
Entscheidungen treffen sich leichter, wenn die Rahmenbedingungen und Folgen transparent gemacht werden. Die aufgeführten Tipps haben daher zum Ziel, möglichst viele Aspekte einer Entscheidung offen zulegen und so die Auswahl zu erleichtern.
.
1.) Ziele und Prioritäten festlegen
Für ein Schiff ohne Ziel ist jeder Wind der falsche. So ist das auch mit Entscheidungen. Wenn ich keinen Plan habe, keine Vision oder ein Ziel, lässt sich keine Wahl treffen. Die Festlegung von Zielen und deren Priorisierung steht daher am Anfang jedes Auswahlprozess. Das gilt sowohl für berufliche, als auch private Entscheidungen. Nehmen wir als Beispiel den Kauf eines gebrauchten Automobils. Liste ich die für mich relevanten Merkmale auf und bewerte bzw. priorisiere sie, erleichtere ich mir die Auswahl möglicher Favoriten.
.
2.) Szenariontechnik
Nicht selten stehen viele Optionen zur Auswahl. In diesem Fall sollte ich die Anzahl an Varianten begrenzen und mir den Entscheidungsprozess erleichtern. Eine Gegenüberstellung der im vorherigen Abschnitt erarbeiteten Merkmale kann bereits für eine Vorauswahl herangezogen werden..
2Die Szenario Technik ist hilfreich bei Entscheidungen mit vielen Bedingungen. In der Produktentwicklung werden oft Hypothesen aufgestellt, um zukünftige Markt- und Branchenentwicklungen besser einschätzen zu können. Hier ist die Methode hilfreich. Die Szenariotechnik besteht aus den Phasen Problemanalyse, Einflussanalyse, Trendprojektion- und Szenarioermittlung. In der Phase Problemanalyse werden Einflussfaktoren ermittelt, deren Wirkungsweisen im Rahmen der Einflussanalyse untersucht werden um darauf aufbauend Trends- und Szenarios abzuleiten. Das klingt kompliziert, lässt sich in der Praxis aber je nach Anwendungsfall relativ leicht umsetzen. Für das Beispiel Kauf eines Automobils können beispielsweise die Einflussfaktoren Familienplanung, Umzug oder Arbeitsplatzverlust genannt werden. Würden wir in den kommenden Jahren keine Familienplanung aber einen Wohnsitz in einer Stadt anstreben, wären Verbrauch und Grösse des Fahrzeugs vielleicht weniger wichtig.
.
2.) Kosten Nutzen Analyse
Die Kosten Nutzen Analyse (Cost-Benefit Comparison) ist eine meiner Lieblingsmethoden. Nicht zuletzt deshalb, weil diese Methode einfach ist und sich sowohl bei beruflichen, als auch privaten Entscheidungen sehr gut anwenden lässt. Die Kosten Nutzen Analyse stellt zwei oder mehrere Optionen gegenüber und vergleicht Kosten- und Nutzen. Aus der Produktentwicklung kennen wir die Vorgehensweise indem wir Deckungsbeiträge und Umsätze, sowie produktstrategische Vor- und Nachteile gegenüberstellen. Wir können aber auch private Entscheidungen treffen, indem wir wirtschaftliche und qualitative Vor- und Nachteile vergleichen.
.
Ein Template mit der Kosten-Nutzen Analyse steht hier zum Download bereit:
.
3.) Gegenargumente finden
In der Produktentwicklung stoße ich immer wieder auf enthusiastische Entwickler und Produktmanager, die ihre Produkte und damit zusammenhängende Entscheidungen vehement verteidigen. Warum wir gerne Zuspruch und Bestätigung für getroffene Entscheidungen erhalten und nicht das Gegenteil, wurde im Abschnitt zur kognitiven Dissonanz erläutert. Grundsätzlich sollten wir auch von unseren Festlegungen überzeugt sein. Sowohl vor als auch nach relevanten Entscheidungen, müssen wir aber für Gegenargumente und zutreffende Kritik offen sein. Am Besten ist es also, wenn wir uns selbst aktiv hinterfragen und vor und nach Festlegungen die Position der Gegenseite bzw. des Wettbewerbs einnehmen.
.
Entscheidungen treffen – Methoden für Entwickler und Manager
Im Rahmen von Unternehmensprojekten kommt es häufig zu Situationen, in denen die Folgen von Entscheidungen schwer absehbar sind. Im Rahmen von Entwicklungsprojekten muss beispielsweise oft zwischen Kosten und Produktfeatures sowie Prioritäten von Projekten und der Ressourcenverteilung entschieden werden. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich oft um Mutiprojektumgebungen handelt (viele Projekte gleichzeitig). In der Vergangenheit habe ich mit zwei Methoden bzw. Tools gute Erfahrungen gemacht.
.
Entscheidungen treffen mit QFD (Quality Function Deployment)
QFD macht Entscheidungen nachvollziehbar und für alle Beteiligten transparent; zudem werden mögliche Zielkonflikte offengelegt und die Fehlerwahrscheinlichkeit verringert 3 Das Werkzeug von QFD sind Matrizen. Je nach QFD Methodik, lassen sich auf horizontaler und vertikaler Ebene Kundenanforderungen Qualitäts- und Kostenanforderungen sowie weitere Kriterien miteinander ins Verhältnis setzen. Die Methodik lässt sich sowohl zur Qualitässicherung als auch als Tool in der Produktentwicklung einsetzen. Der Komplexität sind hier keine Grenzen gesetzt weswegen viele Entwickler und Produktmanager vor der Anwendung zurückschrecken. Beschränkt man sich aber auf eine oder zwei Ebenen, lässt sich QFD wunderbar als Tool verwenden.
Im Beispiel habe ich die Kundenbedürfnisse beim Kauf eines Heizkessels mit Biomasse den technischen Merkmalen gegenübergestellt. Ein Zielkonflikt zeigt sich hier z.B. beim Füllraum. Einerseits ist für Kunden eine lange Ausbranddauer relevant, andererseits aber auch der Platzbedarf. Das Merkmal Abmaße konkurriert also mit dem Merkmal Füllraum bzw. die geringe Stellfläche mit der langen Ausbranddauer. In einer relativ überschaubaren Matrix lassen sich so Kundenanforderungen, Wettbewerbspositionierung, technische Merkmale und Zielkonflikte darstellen.
.
Entscheidungen treffen mit der Kennzahl „Cost of Delay“
Entscheidungen in der Produktentwicklung führen häufig zur simultanen Beeinflussung vieler Faktoren. Der Fokus auf nur einen Faktor (z.B. Entwicklungskosten) kann daher als unzureichend für die Entscheidungsfindung in der Produktentwicklung angesehen werden. Im ungünstigsten Fall werden Produktentwicklungen überhaupt nicht wirtschaftlich betrachtet, bevor deren Umsetzung entschieden wird.
Ein Beispiel ist das Bearbeiten von Entwicklungsprojekten nach dem Prinzip FiFo (First in First out). Unabhängig davon, ob es sich um ein rentables Projekt handelt oder nicht, wird zuerst umgesetzt, was auch zuerst beauftragt wurde.
Findet eine Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von Projekten statt, wird dies häufig nur zum Anfang eines Projektes durchgeführt. Kennzahl ist hier z.B. der Deckungsbeitrag. Da tatsächlich benötigte Kapazitäten häufig zu Anfang des Projektes nicht genau ermittelt werden können, findet im Laufe der Entwicklungszeit eine Umschichtung von Kapazitäten statt. Aus „weniger wichtigen“ Projekten, werden Ressourcen abgezogen und den prioritären Projekten auf unbestimmte Zeit zugeordnet. Hierbei wird häufig nur nach der Anfangskennzahl beurteilt, die nichts darüber aussagt, ob bezogen auf den Gesamtprofit eine Umschichtung für einen begrenzten Zeitraum rentabler wäre.
Mitunter kann es sinnvoll sein, Projekte abzubrechen oder zu verschieben. Die häufig anzutreffende Unwilligkeit im Abbruch von Unternehmensprojekten wird unter anderem damit begründet, dass dadurch Imageverlust befürchtet wird und dies gegebenenfalls mangelhafte Managementkompetenz impliziert. 4 Insbesondere in Multiprojektumgebungen ist daher ein Controlling anhand von Kennzahlen sinnvoll, welches schnelle Entscheidungen ermöglicht und Eigeninteressen des Managements oder der Projektleiter verhindert. 5 Deshalb ist die fortlaufende Ermittlung der Verzögerungskosten (COD, cost of delay) für jedes Projekt sinnvoll. Hierbei werden die bei verspäteter Markteinführung entstehenden Unterlassungskosten (z.B. durch geminderten Absatz, verringerte Skaleneffekte, Erfahrungskurveneffekte) kalkuliert. Somit werden die wirtschaftlichen Folgen von Entscheidungen zu Kapazitätsaufteilung, Variabilität und Arbeitspaketgrößen leichter messbar.
.
Entscheidungen in der Produktentwicklung vereinfachen
In vielen Entwicklungsprojekten werden, ähnlich der Abläufe in der Produktion, Entscheidungen in der Produktentwicklung nur zu Beginn von Prozessen getroffen und Manager versteifen sich nur noch auf das Controlling des Zeitplanes ohne Feedback umzusetzen bzw. die Befugnis für Entscheidungen an Mitarbeiter abzugeben. Müssen Mitarbeiter auch bei unwesentlichen Entscheidungen erst die Zusage des Vorgesetzten einholen, geht wertvolle Zeit verloren. Folglich versuchen Produktentwickler wichtige Entscheidungen an den Anfang des Prozesses zu verlagern und reagieren auf spätere Erkenntnisse (z.B. geänderte Marktanforderungen) nur träge. Abhilfe kann diesbezüglich die Aufgleisung von Projekten und Zielen nach dem Management by Objectives Ansatz schaffen.
.
Entscheidungen treffen lernen
Entscheidungen treffen lernen ist nicht schwer. Damit wir nicht durch Intuitionen und kognitive Dissonanz „Vorurteile“ bilden, ist methodisches Vorgehen bei der Entscheidungsfindung sinnvoll. Gute Methoden und Tools sind die Priorisierung von Anforderungen, Szenariotechniken, Kosten-Nutzen-Analysen und die Ableitung von Gegenargumenten. Außerdem haben sich QFD und die Bildung von Kennzahlen (z.B. Cost of Delay) in Multiprojektumgebungen als sinnvoll erwiesen. Je transparenter Rahmenbedingungen, Auswirkungen und Einflussfaktoren sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer guten Entscheidung.
.
Weiterführende Artikel:
Management by Objectives – Führen mit Zielvereinbarungen
Unternehmensstrategie – Beispiele und Tipps
.
- Dietmar Hopp, Vorstandsvorsitzender SAP im Interview mit der Wirtschaftswoche, Band 52, Ausgaben 7-10 57.
- Günter Ebert. 2011. S217. Unternehmenssteuerung. Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH
- Ehrlenspiel. (1995). S. 187, 188. Integrierte Produktentwicklung. München: Carl Hanser Verlag.
- Fischer, D. (2000). S.30. Produkt- und Anlagenoptimierung. Heidelberg: Springer-Verlag.
- Reinertsen (2009) S. 31. The Principles of Product Development Flow. Redondo Beach: Celeritas Publishing.
Schreibe einen Kommentar